Willis Kolumne

Heidschnucke Willi und das ganz große Kino

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Die ersten Schneeflocken tanzten an diesem Morgen durch die eisige Luft. Sie erinnerten Heidschnucke Willi an die kleinen Schirmchen der Pusteblumen, die im Sommer immer ähnlich sanft durch die Luft schwebten. Aber jetzt war es kalt draußen, und Willi war froh über seine Wuschelpracht aus grauer Wolle. Er lief über den Hof und erblickte den Hund, der zufrieden vor dem Haus des Schäfers lag: ‚‚Na, Große Pfote! Was machst du so? Wo warst du eigentlich gestern Abend?" Der Hund gähnte und antwortete: ‚‚Ich habe zusammen mit Sissi einen Film geschaut. Es war so ein Liebesfilm. Sissis Frauchen hat die ganze Zeit geweint und Unmengen von Schokolade gegessen. Sissi war auch traurig. Aber als der Film zu Ende war, waren sie glücklich!? Ich habe das nicht so richtig verstanden, aber ...", da unterbrach plötzlich Madame Carla, die Zirkusziege das Gespräch. ‚‚Ganz großes Kino! Sie haben geweint, weil es so schön war!" 
Willi schüttelte seinen Kopf und sagte: ‚‚Also das ist wirklich kompliziert, Carla! Gut, dass du da bist, dann können wir ja jetzt etwas unternehmen." Große Pfote hatte inzwischen angefangen zu schnarchen, und so konnten sich Willi und Carla ungehindert aus dem Staub machen.  Sie rannten um die Wette, balancierten über Baumstämme und erreichten mit dampfendem Fell den Wald. Sie schnupperten den Duft von Holz, als sie plötzlich eine vertraute Stimme hörten; in Willis Fell kitzelte es, und nur einen Augenblick später entdeckten sie Schäfer Arne und die Heideprinzessin. Heidschnucke Willi und Madame Carla versteckten sich hinter einem Busch; sie hatten alles gut im Blick.
Der Schäfer sagte: ‚‚Heideprinzessin, ich würde Bäume für dich ausreißen! Du darfst dir den schönsten Weihnachtsbaum aussuchen." Mit geröteten Wangen lächelte die Prinzessin zurück und begutachtete die Bäume. Vor einer Tanne, die nicht einmal in die Dorfkirche gepasst hätte, blieb sie schließlich stehen. Arne schielte auf seine Axt und schluckte: ‚‚Gut, aber es kann ein paar Stunden dauern!" Die Heideprinzessin schmunzelte und legte ihren Arm auf Arnes Schultern: ‚‚Ach, das war ein Scherz. Ich nehme den hier" , und zeigte auf eine kleine Tanne. ‚‚Bist du sicher? Diese Tanne ist schief und krumm", sagte Arne. ‚‚Wir sollten den Wald schonen und deshalb soll es diese Tanne sein. Dieser Baum ist ... besonders, außerdem habe ich wunderschönen Baumschmuck." Der Schäfer umarmte die Heideprinzessin: ‚‚Du bist wunderbar", und dann blickte er ihr ganz tief in die Augen. 
Der Busch, den sich Madame Carla und Willi ausgesucht hatten, wurde als Versteck allmählich zu klein, denn einige Bewohner des Waldes waren ebenfalls neugierig geworden und beobachteten aufmerksam die Verliebten. Ein Eichhörnchen hatte auf Willis Rücken Platz genommen: ‚‚Wie aufregend! Wollt ihr ein paar Nüsse?" Es knackte und knabberte eine Nuss nach der anderen. Willi schaute neben sich und sah, dass Carlas Augen ein wenig glänzten, dann sagte er: ‚‚Die Beiden sehen so glücklich aus. Denk jetzt bloß nicht, dass ich weinen muss oder so, aber jetzt verstehe ich, was du vorhin gesagt hast." ‚‚Ja, es ist besser als Kino. Es ist echt! Wie schön", schwärmte die Ziege. Kurze Zeit später verließen Arne und die Prinzessin mit dem krummen Weihnachtsbaum den Wald, und auch Willi und Madame Carla kehrten bald auf den Schäferhof zurück.

C. Emma Wilkens - Böhme Zeitung 

Heidschnucke Willi und die Verfolgungsjagd

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Heidschnucke Willi rannte und rannte. Ein flüchtiger Blick nach hinten verriet ihm, dass Große Pfote seine Jagd noch nicht aufgegeben hatte; nur wenige Meter trennten sie. An diesem Nachmittag wollte es Willi einfach nicht gelingen den Hund abzuhängen. In seinem Wuschelfell kitzelte es sehr, weil er unbedingt etwas erleben wollte. Er flitzte um Häuserecken, versteckte sich hinter Büschen, Bäumen und Mauern. Auch eine Gruppe von Heidetouristen konnte ihm nicht weiterhelfen. Die Urlauber freuten sich über ihn und wiesen Große Pfote mit entzückten Worten wie ‚‚Och, ist der niedlich! So eine süße Schnucke!" daraufhin, dass Willi sich in der Gruppe versteckte. Also flüchtete er vor den Händen, die sein Wuschelfell zerzaust hatten und entdeckte bald darauf einen Hauseingang.
Von dort beobachtete er den Hund, der etwas verloren wirkte, suchend um sich blickte und bellte: ‚‚Willi es reicht. Wo bist du? ... Hm, aber was riecht hier denn so gut? Wurst und Schinken." Der Hund des Schäfers schnupperte in der Luft und näherte sich dem Hauseingang. Seufzend trat Willi ein Stück zurück und flüsterte: ‚‚Warum kann ich mich nicht einfach unsichtbar machen?" Doch dann bemerkte er, dass die Tür hinter ihm einen Spalt geöffnet war, also stieß er sie mit seiner rechten Klaue auf und rannte in das Haus. Der Raum, in dem er sich nun befand, war von oben bis unten gefliest, außerdem roch es ganz entsetzlich! Er musste die Luft anhalten! Schnell wollte er wieder umdrehen, aber da war Große Pfote schon neben ihm und lachte: ‚‚Haha Willi, das ist nichts für Vegetarier und Veganer, aber MIR gefällt es hier." Dabei blickte er gierig auf einen großen Schinken, der auf einem Tisch rosa glänzte. Im gleichen Augenblick betrat ein Mann in weißer Kleidung den Raum und sagte mit einem Grinsen, welches einen goldenen Zahn in seinem Mund offenbarte: ‚‚Das ist ja wirklich praktisch, dass die Tiere jetzt schon zu mir kommen."
Das alles gefiel Willi ganz und gar nicht, denn rechts von ihm sah er Große Pfote mit glühenden Augen stehen und links von ihm war dieser Mann, der einen blanken Gegenstand in seinen Händen hielt und irgendwas von ‚‚Wolle muss erst runter ..." brabbelte. Angst ließ Willi erstarren und Große Pfote zischte: ‚‚Tja, Willi. Ich könnte jetzt einfach gehen und dich deinem Schicksal überlassen. Was meinst du? Weil du ja sowieso immer ausbüxt, fällt das doch gar nicht auf." Nachdem Willi vergeblich versucht hatte sich mit seinen Hörnern zu wehren, um den Mann zurückzudrängen, hörte er ein Knurren von Große Pfote, das ihm den Atem verschlug: ‚‚Los Willi! Jetzt lauf los! Aber glaub´bloß nicht, dass ich dir immer aus der Patsche helfen werde." ‚‚Danke Große Pfote! Das werde ich nie vergessen", rief Willi ihm noch zu und war froh, als er endlich wieder frische Luft schnappen konnte.

C. Emma Wilkens - Böhme Zeitung

Heidschnucke Willi und die unheimlichen Sterne

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Heidschnucke Willi versuchte sich die schönsten Heidelandschaften vorzustellen; Schnuckenverse hatte er immer wieder in Gedanken aufgesagt, aber schlafen konnte er noch immer nicht. Die Sterne glitzerten hell in den Stall hinein und spiegelten sich in seinen Kulleraugen. Er lauschte den Geräuschen der Nacht und beobachtete die Wolle der dicht an dicht schlummernden Schnucken, die sich wie ein sanftes Meer im Schwarz der Nacht bewegte. Sein Blick streifte den Strohballen, auf dem die Zirkusziege Madame Carla friedlich schlief, dann bewunderte er die Schönheit des Sternenhimmels ...
Willi fragte sich, ob es wohl irgendwo da draußen noch mehr Schnucken gab ... Und ob man zu den Sternen reisen konnte ...
In seinem Wuschelfell begann es plötzlich fürchterlich zu kitzeln, und so sprang er auf seine schwarzen Beinchen und wuselte sich durch die Menge hinaus. Willi wollte wissen, was es mit den Sternen auf sich hatte und überlegte sich einen Plan. Vielleicht konnte er irgendwie auf den Balkon vom Schäferhaus kommen, um den Sternen einmal ganz nah zu sein. Entschlossen hüpfte er über den Zaun, lief hinüber zum Haus und stieß mit seiner rechten Klaue gegen die Terrassentür. Er hatte Glück, und gleich darauf entdeckte er im Flur die Treppe.
Doch es gab ein Problem, denn der Hund, Große Pfote, lag direkt vor den Stufen und versperrte Willi den Weg. So ein Mist, dachte er. Aber dann schnarchte der schlafende Hund einmal laut auf und rollte sich auf die andere Seite. Der Weg war frei. ‚‚Du bist ein toller Wachhund, Große Pfote, hihi ...", flüsterte ihm Willi frech zu und lief schnell die Treppe hinauf. Oben angekommen sah er bald durch die Tür den Sternenhimmel und trabte neugierig auf den Balkon. Bis auf ein paar Grillen, die in den Blumen und Sträuchern um ihn herum zirpten, war es still. Über ihm waren die Sterne ... nur wirkten sie auch hier oben unerreichbar. Willi streckte seinen Kopf in die Höhe und schnupperte die frische Luft, als plötzlich etwas sehr Unheimliches geschah; neben ihm blinkte es, und die Sterne, sie bewegten sich und regneten vom Himmel ...
Willi bekam einen solchen Schreck, dass er zusammenzuckte und ins Haus sprang. Sein Herz raste und seine Beinchen zitterten. Wie ein Blitz schoss immer wieder die gleiche Frage durch seinen Kopf: Warum fallen Sterne vom Himmel? Einen weiteren Schreck jagte ihm der Schäfer ein, der plötzlich völlig verschlafen vor ihm stand und gähnte: ‚‚Willi, bist du das? Ist Weihnachten? Aber es ist doch Sommer ... Du siehst ja aus wie ein wandelnder Weihnachtsbaum ..." Der Schäfer rieb seine Augen und kniete sich vor Willi, der inzwischen über unzählige kleine Lämpchen in seinem Fell staunte. ‚‚Ach, das gibt es doch nicht. Glühwürmchen", lachte der Schäfer und wuschelte vorsichtig durch Willis Fell, dann blickte er in seine verwunderten Kulleraugen und sagte: ‚‚Komm du Kleiner, das sind doch nur Glühwürmchen ... Und jetzt bringe ich dich zurück in den Stall."

C. Emma Wilkens - Böhme Zeitung

Heidschnucke Willi und die traurige Künstlerin

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Es war nicht mehr weit bis zum Schäferhof, und Heidschnucke Willi konnte die Holzbalken des Stalls schon erkennen. Er sah lauter bunte Flecken, die sich bewegten und seine Neugier weckten. In seinem Fell begann es zu kitzeln, und als er in die Augen der anderen Schnucken schaute, wusste er, dass heute etwas anders war. Nur noch ein paar Hundert Meter trennten sie vom Stall. Da blieb der Schäfer stehen und drehte sich zu seiner Herde um; Große Pfote forderte die Heidschnucken mit tiefem Gebell dazu auf, stehen zu bleiben. 
Mit einem Tuch wischte sich der Schäfer den Staub aus dem Gesicht, dann richtete er seinen Hut und sagte: ‚‚Liebe Heidschnucken, heute sind die ersten Touristen da. Sie wollen euch sehen. Benehmt euch gut, denn ihr werdet auf vielen Fotos zu sehen sein. Also keine Grimassen!" Einen besonderen Blick widmete er dabei Heidschnucke Willi. Dann setzte sich die Herde wieder in Bewegung. Willi, Wolke und Lulu verdrehten ihre Kulleraugen, als sie sahen, dass Große Pfote sich wieder einmal fürchterlich in Szene setzte. Als sie endlich ankamen, war es aufregend und seltsam zugleich mit den vielen Menschen, die unentwegt Fotos machten. Einige ältere Heidschnucken kannten das schon und setzten sich gekonnt in Pose. Immer im Mittelpunkt stehen muss anstrengend sein, dachte Willi und beobachtete Große Pfote, dessen Laune immer schlechter wurde, weil sich die Touristen nur für die Schnucken interessierten. 
Bald schon wurde es Willi langweilig und so flüsterte er seinem Freund Wolke ins Ohr: ‚‚Komm! Wir unternehmen noch etwas." Wolke war einverstanden. Schnuckdiwupp und unbemerkt machten sich die beiden davon. Sie liefen an einem bunten Zirkuszelt vorbei ... und dann hörten sie plötzlich eine zarte Stimme ... ein Wimmern, das sie erschreckte und langsamer werden ließ. Einen Augenblick später entdeckten sie hinter einem Baum eine Ziege. Riesige Tränen kullerten ihre Wangen hinab. ‚‚Was hast du denn?", fragte Willi. Sie antwortete: ‚‚Ach, ich kann einfach nicht mehr. Ich bin so lange als Künstlerin mit dem Zirkus unterwegs gewesen und stand immerzu in der Manege und habe meine Kunststücke vorgeführt. Eine Vorstellung nach der anderen. Morgen ziehen wir weiter. Aber ich sehne mich so sehr nach einem festen Wohnsitz. Ich fühle mich heimatlos. Ich möchte ein richtiges Zuhause." 
Willi und Wolke waren nun auch schon ganz betrübt, aber dann kam Willi eine Idee: ‚‚Dann komm doch mit uns zum Schäferhof. Du kannst bei uns bleiben." ‚‚Meint ihr wirklich?" Und zum ersten Mal sahen die beiden Schnucken ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Dann sprang sie auf ihre Beinchen und drehte eine Pirouette, dass es Willi und Wolke den Atem verschlug. ‚‚Wie hast du das gemacht?", wollte Willi wissen. ‚‚Ich kann es euch beibringen ... und Vieles mehr. Ich heiße übrigens Madame Carla. Und jetzt schnell, bevor der Zirkusdirektor etwas merkt." Auf dem Weg zum Schäferhof machte Madame Carla noch Saltos und Pirouetten ... Willi und Wolke freuten sich schon auf die erste Lektion.  

C. E. Wilkens - Böhme Zeitung

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